New York City
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Alles sieht so aus wie in New York. Das Lichter-Schachbrett von Midtown, leuchtende Quadrate auf schwarzem Hochhausgrund. Die gleichen Stapel von Müllsäcken on der Fifty-Six, die abends ein eigenes Gebirge auf dem Bürgersteig bilden. Das ganz eigene Gelb der Taxis, der blaue Geldautomat der Chase Manhattan, dein grüner Starbucks am Eck. Zweifelsohne: du stehst mitten in En-Way-Ci. Und doch ist es anders. Es fehlt etwas.
Sehnsucht ist ein T-Shirt
Zwei Jahre hast Du auf diesen Augenblick gewartet. Zwischendrin, als es besonders schlimm war, sogar online ein T-Shirt erstanden: „I really really miss New York.“ Mindestens ein really zu wenig. Nachdem der damals noch orangefarbene Präsident die Grenzen geschlossen hatte, scheinbar für immer, hast Du geschworen: „Der erste Flug in die Stadt, der möglich ist, den nimmst Du.“ Dieser Trip ist das einlösen eines Versprechens, dass der contentnomade dieser Stadt gegeben habe. New York existiert nie nur als Platz, sondern auch als Idee.
Manhattan in Watte gepackt
Aber bist Du überhaupt im richtigen New York? Morgens um vier, wenn Dich unüberhörbar die Müllabfuhr aus dem Schlaf reißt, erinnerst Du Dich: Das war immer so. Kaum hast Du Dich beruhigt umgedreht, schreckst Du wieder auf. Kein jetlag, aber eine Erkenntnis: das, was Dich am Abend zuvor beunruhigt hat, war diese Stille. Das Grundrauschen der Stadt, ihr Ventil, nur noch zu hören wie durch einen noise-cancelling-Kopfhörer. Als ob jemand die ganze Halbinsel in Watte gepackt hätte. Kontemplation einer Big City, in der Stillstand immer Rückstand bedeutet hat. Die ewigen Sirenen, das ausdauernde Gehupe, das aufgeregte Geschnatter auf den sidewalks, kaum noch vorhanden. Und wo sind eigentlich die Menschen?
Braucht jemand noch ein Taxi?
Du bist im zweiten Corona-Winter gekommen, um die alte Stimmung zu erspüren, diese kaum beschreibliche Energie aufzusaugen. Es waren nur zwei Jahre, aber was für welche. Gerade für New York, das Herz der Welt. Es pumpt zwar noch, es scheint unverwüstlich, aber der Körper ist leer. Die Büromenschen klappen die Laptops zuhause auf, oder gleich upstate, die Touristen sind noch nicht wieder da. Diese Stadt quasi für Dich allein zu haben, das ist echter Wahnsinn. Doch Energie multipliziert sich nur, wo viele Menschen sind. Gerade ist der Taxi-König von New York gestorben. Wenn keiner mehr ein Taxi braucht, sind die Städte tot. Was wird das bloß für ein Besuch? Die Power, die New York Dir gibt, braucht es je selbst. Mehr denn je.
Verwaist, verwahrlost, verwunschen
Hello, old friend. Ich tue etwas, was sich normal anfühlt, aber nicht so ist: Manhattan in seiner Einsamkeit begleiten. Aus nationalem Interesse, hat Dir das Konsulat bescheinigt, sei die Einreise erlaubt. Inspirationen sind Investitionen in Dich selbst, gerade in New York, das eine ganze eigene Welt voller inhaltlicher Möglichkeiten bietet. Selbst in der Krise noch spannend. So wie jetzt war es nicht, nachdem die Börsen-Blase geplatzt war, nicht in den noch kriminellen Neunzigern, auch nicht direkt nach 9/11. Verwaist, das grenzt hier nah an verwahrlost. Die Stadt schreit an jeder Ecke stumm um Hilfe. Ein schmutziges Schaufenster verspricht: „It’s always Christmas in New York.“ Make a wish.
Wiedererkennen beim Maskenball
Tapfer strahlt das Empire State Building in Cyan, als wolle es die blaue Stunde für immer festhalten. Während Deiner Spaziergänge hast Du außergewöhnlich viel Zeit für eigene Gedanken, es rempelt Dich ja niemand an. Da ist der Satz aus dem Reise-Reporterlehrbuch: „Wir lernen auf Reisen ja nicht deshalb viel, weil wir unterwegs plötzlich schlauer geworden sind, sondern weil wir aufmerksamer gucken.“ Die Rushhour des Lebens, in Avenues kanalisiert. So kannte ich New York, so liebe ich es. Das Hotel hat zwar einen Zweitnamen bekommen, alles ist digitalisiert, aber das Ambiente unverändert. Es gibt den Moment des Wiedererkennens mit José, dem Doorman, trotz Maske. Geht doch.
Blau schlägt Grau
Jetzt nur noch die Seele wiederfinden. Die Stadt, die nie schläft, ist schläfrig. Sie braucht eine Aufwachphase, wie wir alle. Sich wieder vertrauen. Wieder wagen. Es ist eine sehr besondere Zeit, und schnell wirst Du froh, dass Du sie miterleben kannst. Plötzlich haben viele Boutiquen das gleiche Motto: blue sky. (Das Empire hat es gewusst.) Ist es nur das Grau des ersten Nor’Easter – oder liegt da eine bleierne Schwere über der City? Sehnsucht auf allen Werbetafeln, auch in der Grand Central Station. Die Uhr in der Haupthalle ist die größte, die Tiffany je gemacht hat. Sonst umschwärmt wie ein Ameisenhaufen, jeder will hier jeden treffen. Wer sich jetzt verabredet, ruft einfach quer durch die Halle, in der nur eine Handvoll Passanten gemächlich schlendern. Mehr Militär als Fahrgäste.
Uelzen muss zuhause bleiben
Die ganzen Reiseführer mit ihren angeblichen Geheimtipps (wo dann die Leute vom Tegernsee und aus Uelzen sitzen und versuchen Großstadt-Boheme zu spielen) kannste vergessen. Der Laden nur für Bleistifte in China-Town? Wegradiert. Die Nomad Bar (aus)geleert. Viele Hot-Spots sind erkaltet, verschwunden. Wie die Reiseboutique Flight 001 im Village – last departure. Lass uns die Guides neu schreiben, am besten vom richtigen Leben. Nur so lässt sich das innere Gleichgewicht wieder finden.
Die ersten, zarten Vibes
Erstmals muss der Bürgermeister eine Werbe-Kampagne für diese besondere Insel starten: „It’s time for New York City.“ Bei 67 Millionen Touristen im Jahr, ein Viertel davon aus Europa, war das nie nötig gewesen. Norah Jones könnte die Hymne darauf singen: „I’ll go back to Manhattan…“ Ab ins Land der Behauptungen, hin zur Selbstbehauptung. Am Nachmittag dann, wie bestellt, ein Saxophonspieler am Columbus Circle. Noch ist nicht alles verloren. Da tönt leise die Kraft der Stadt durch, die guten alten Vibes. Du beginnst Dich glücklich zu schätzen, diese Stadt jetzt mehr oder weniger für Dich zu haben. Sie mit neuen Augen zu sehen.
In Frankfurt gelandet, der sonst so distanzierte Flughafen will Dich aufmuntern: „Embracing the wold again. Guiding you to new adventures.“ Bei der Ankunft in Stuttgart leuchtet Dir die Provinz-Kampagne von „The Länd“ entgegen. Spätestens jetzt beginnst Du New York City bereits wieder zu vermissen.